23. November 2024

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„Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit“

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser steht dem Rhein-Ruhr-Magazin (RRM) Rede und Antwort

RRM: Corona bestimmt seit einem Jahr die Schlagzeilen. Hat die Pandemie die Themen Umweltschutz, Energie und Nachhaltigkeit – kurzum, wie wir in Zukunft leben werden -, in den Hintergrund gerückt?

Ursula Heinen-Esser: Die Corona-Pandemie ist eine Jahrhundert-Herausforderung, mit der auch neue Themen in den Vordergrund getreten sind. Dabei hat Corona gezeigt, wie wichtig der Vorsorgegedanke ist. Daran richten wir auch unsere Politik und unser Handeln aus: Den künftigen Generationen eine gesunde Welt für ein erfülltes Leben hinterlassen. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, um klimafreundlicher, ressourceneffizienter und nachhaltiger aus der Krise hervorzukommen. Mit der neuen Nachhaltigkeitsstrategie zeigen wir hierzu zahlreiche Möglichkeiten auf, die wir mit vielfältigen Unterstützungs- und Förderangeboten begleiten.

RRM: Ende 2020 hat die Landesregierung das bundesweit erste Klimaanpassungsgesetz auf den Weg gebracht. Warum ist die Anpassung erforderlich, welche Inhalte und Ziele hat das Klimaanpassungsgesetz?

Ursula Heinen-Esser: Der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Er ist keine abstrakte Zukunftsvision, der Klimawandel ist ganz real und seine Auswirkungen bereits spürbar. Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Klimaänderungen so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig müssen wir uns bestmöglich auf die unumkehrbaren Änderungen einstellen, nötige Anpassungsmaßnahmen vornehmen und uns aktiv schützen. Mit einem eigenen Gesetz räumen wir der Klimaanpassung einen bedeutend größeren Stellenwert ein und schaffen mehr Verbindlichkeit. Der Entwurf schafft gesetzliche Vorgaben für eine Anpassungsstrategie inklusive Monitoring. Vorgesehen ist unter anderem auch ein Klimaanpassungs-Check für kommunale Planungsvorhaben.

RRM: Das Umweltministerium hat Anfang 2019 die Grüne Infrastruktur in der Metropolregion Ruhr angestoßen. Worum geht es dabei und was wurde bislang erreicht?

Ursula Heinen-Esser: Eine vielfältige grüne und blaue Infrastruktur sorgt für mehr Lebensqualität, fördert die Artenvielfalt und mildert die Folgen des Klimawandels. Hierzu gehören natürliche und naturnahe Grünflächen, Landschaftsparks und Gewässer, aber beispielsweise auch Fassaden- und Dachbegrünungen. Die Landesregierung fördert daher im Rahmen der Ruhrkonferenz die Projekte „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ und „Offensive Grüne Infrastruktur 2030“. Zahlreiche Vorhaben wurden bereits entwickelt und umgesetzt, von der Entsiegelung und Begrünung von Flächen, bis hin zu Dach- und Fassadenbegrünungen oder Anlagen zur Regenwasserversickerung. Daran knüpfen wir gemeinsam mit der Region 2021 an. 

Spitzentreffen der Grünen Branche: NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (re.) beim IPM CONNECT-Talk im neuen Studio Ruhr in der Messe Essen. Foto: Rainer Schimm/Messe Essen.

RRM Sie stehen seit 2018 dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vor. Welche Projekte wurden in dieser Zeit angestoßen, welche Ziele haben Sie sich selbst gesteckt?

Ursula Heinen-Esser: Kaum ein Ministerium hat eine derart enorme Bandbreite an Themen, vom Aal bis zur Zinspolitik. Dies gibt große Gestaltungsmöglichkeiten. Viele unserer Themen sind Lebens- und Zukunftsthemen, die mit großen Herausforderungen verbunden sind. Bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und mehr Tierwohl sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, der Ausbau der Biodiversitätsberatung, der Stall der Zukunft und die Nutztierstrategie sind hier wichtige Bausteine. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Lebensmittel benötigen wir faire und gute Preise für faire und gute Produkte. Hierzu setzen wir uns für bundesweite Vorgaben ein, Lockangebote für Billigfleisch zu unterbinden.

Mit zahlreichen Initiativen und Förderangeboten unterstützen wir den Ausbau der grünen und blauen Infrastruktur. Davon profitieren Natur und Mensch gleichermaßen – es entstehen Lebensräume für die biologische Vielfalt, gleichzeitig steigt die Lebensqualität der Menschen. Übrigens auch durch die Verbesserung der Luftqualität; schon bald werden allerorts die Grenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten. Dramatisch waren in den vergangenen Jahren die Folgen des Klimawandels für den Wald. Stürme, Dürren und Borkenkäfer haben massive Schäden verursacht. Hier konnten wir wichtige Weichen hin zu vielfältigen und klimastabilen Mischwäldern stellen. Zur weiteren Verbesserung der Gewässerqualität stimmen wir derzeit mehr als 10.000 Maßnahmen ab, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen. Mit der Corona-Pandemie waren auch zahlreiche Verbraucherschutz-Fragen verbunden. Es freut mich daher, dass wir die Unterstützung für die Verbraucherzentralen bis 2025 sichern und ausbauen konnten. 

RRM:  Bekommt die ökologische Landwirtschaft einen Schub durch die gestiegene Nachfrage nach Bio- und regionalen Produkten? Wie unterstützt Ihr Ministerium diese Prozesse?

Ursula Heinen-Esser: Der Bio-Markt ist eine Zukunftsbranche mit Wachstumstrend. Unser Ziel ist es, den Anteil des Ökolandbaus weiter zu steigern. Das haben wir auch in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie verankert. Bis 2030 wollen wir 20 Prozent Öko-Fläche erreichen; aktuell liegen wir bei gut sechs Prozent. Das Land unterstützt dies mit zahlreichen Angeboten. Allein im vergangenen Jahr erhielten die Ökobetriebe in NRW für die ökologische Bewirtschaftung eine Förderung in Höhe von 20,5 Millionen Euro aus EU-, Bundes- und Landesmitteln. Vielfältige Unterstützung bieten wir auch bei der Beratung, der Forschung, dem Versuchswesen, der Absatz- und Vermarktungsförderung und der Verbraucherinformation an. Davon profitiert auch die regionale Wertschöpfung. Denn auch regionale Produkte liegen im Trend. Um die Nachfrage noch stärker mit Öko-Erzeugnissen aus der Region zu bedienen und Anreize zur Umstellung zu geben, planen wir aktuell zudem die Einführung von drei Öko-Modellregionen in Nordrhein-Westfalen.

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser und Eckhard Forst, Vorstandsvorsitzender NRW.BANK. Foto: NRW-Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz.

RRM:  Die Mitte 2020 in NRW gestartete Volksinitiative Artenvielfalt „Insekten retten – Artenschwund stoppen“ (NABU/BUND/LNU und zahlreiche Unterstützer) hat in einer erfolgreichen Unterschriftensammlung bereits zehntausende Unterstützer für ihre Kampagne gewinnen können. Deren Forderungen, die sie verbindlich in die Landesgesetze aufgenommen haben möchten, reichen vom Stoppen von Flächenverbrauch für Wohngebiete, Gewerbe, Straßenbau etc. über Artenschutz in der Stadt, Gewässerschutz bis zu naturverträglicher Landwirtschaft und wilde Wälder. Mit der Landesregierung geht die Initiative hart ins Gericht und wirft ihr ein Handeln gegen die ökologische Vielfalt vor. Was entgegnen Sie den Akteuren der Volksinitiative?

Ursula Heinen-Esser: Der Schutz der Biodiversität ist eine zentrale gesamtgesellschaftliche Herausforderung.Es ist erfreulich, dass die Initiative ein fundamental wichtiges Thema in den Fokus rückt und dies auf Zuspruch in der Gesellschaft stößt. Das ist gut für den erforderlichen Diskurs über Ziele und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität in und für Nordrhein-Westfalen. Der Schutz unserer biologischen Vielfalt darf kein bilateraler Dialog zwischen Politik und Naturschutzverbänden sein. Wir benötigen ein breites gesellschaftliches Bündnis für den Naturschutz. Von der Initiative erhoffe ich mir genau diesen zusätzlichen Appell, dass jede und jeder seinen Beitrag leisten muss, die Artenvielfalt in und für Nordrhein-Westfalen zu stärken.

RRM: Die Verringerung von Umweltverschmutzungen ist eine der Kernaufgaben des Umweltschutzes. Ein Leuchtturmprojekt in dieser Hinsicht ist der Emscherumbau. Können Sie dieses Projekt in seinen Dimensionen skizzieren und seiner Bedeutung einordnen?

Ursula Heinen-Esser: Der Emscherumbau steht für ein ganzes Maßnahmenbündel von Land, Emschergenossenschaft, Kommunen und weiteren Partnern. Gemeinsames Ziel ist es, die Emscher in ein lebendiges und vielfältiges Rückgrat der grün-blauen Infrastruktur im Ruhrgebiet zu verwandeln. Herzstück ist der Bau eines Abwasserkanals von über 50 Kilometer Länge, der das bisher direkt durch den Fluss abgeleitete Abwasser aufnimmt. Daneben entstanden Renaturierungsmaßnahmen, Naturerlebnisräume und Bildungsangebote für die Bevölkerung. Zur weiteren Verbesserung der Wasserqualität haben wir erst kürzlich mit mehr als 30 Millionen Euro eine Nachrüstung der Kläranlage Dortmund-Deusen mit einer weitergehenden Abwasserreinigung gefördert.

RRM: „Grüner Wasserstoff“ ist der Hoffnungsträger, wenn es um das Ziel der Klimaneutralität geht. Was macht das Land, um die Transformation von fossilen Energien hin zu klimafreundlichen Energieträgern zu forcieren?

Ursula Heinen-Esser: Wasserstoff hat eine Schlüsselrolle, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Daher beschleunigt das Land auf Basis der Wasserstoff-Roadmap des Wirtschaftsministeriums den Aufbau einer zukunftsweisenden Wasserstoffwirtschaft. Dazu gehört der verstärkte Einsatz in industriellen Prozessen oder der Ausbau der wasserstoffbasierten Mobilität, zum Beispiel im Bereich des ÖPNV oder im Güterverkehr. 

RRM: „Grüner Wasserstoff“ ist der Hoffnungsträger, wenn es um das Ziel der Klimaneutralität geht. Was macht das Land, um die Transformation von fossilen Energien hin zu klimafreundlichen Energieträgern zu forcieren?

Ursula Heinen-Esser: Wasserstoff hat eine Schlüsselrolle, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Daher beschleunigt das Land auf Basis der Wasserstoff-Roadmap des Wirtschaftsministeriums den Aufbau einer zukunftsweisenden Wasserstoffwirtschaft. Dazu gehört der verstärkte Einsatz in industriellen Prozessen oder der Ausbau der wasserstoffbasierten Mobilität, zum Beispiel im Bereich des ÖPNV oder im Güterverkehr.
 
RRM:  Windkraftanlagen sind, was die Akzeptanz bei der Bevölkerung betrifft, umstritten. Windkraft ja, aber kein Windrad vor der eigenen Tür. Bremst diese Haltung die Windkraft im bevölkerungsstarken NRW aus? Künftig soll ein Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohnbebauung (Ansiedlung von zehn Häusern) gelten. Was wird diese Verringerung des bisherigen Mindestabstands um 500 Meter bewirken?

Ursula Heinen-Esser: Viele Menschen befürworten den Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig kommt es vor, dass geplante Windenergieanlagen vor Ort auf Widerstand stoßen. Neben der Windkraft selbst ist aber auch die Kraft der Menschen wichtig, damit die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und der Ausbau der erneuerbaren Energien gelingen. Die Landesregierung setzt sich daher für einen akzeptanzfördernden Ausbau der Windenergie ein. Die auf Bundesebene vereinbarte Länderöffnungsklausel ermöglicht die gesetzliche Festlegung von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung. Hiervon möchten wir Gebrauch machen, da eine solche Regelung zu einem Kompromiss zwischen dem Ausbau der Windenergie und der Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen kann.

 

„Beim Einkaufen lege ich Wert auf regionale Produkte und Anbieter“ 

– NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser

 

Foto: Anke Jacob

RRM:  Welche Erwartungen haben Sie an die UN-Klimaschutzkonferenz, die im November 2021 in Glasgow stattfinden soll? Welche effektiven Maßnahmen müssen unaufschiebbar getroffen werden, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, die Erderwärmung bis 2030 deutlich unter 2 Grad zu begrenzen?

Ursula Heinen-Esser: Zunächst hoffe ich, dass Corona in diesem Jahr die Ausrichtung wieder zulässt, denn der Klimawandel lässt sich nicht verschieben. Für einen effektiven Klimaschutz benötigen wir eine starke internationale Gemeinschaft und ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen. Daher freue ich mich über die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen. In Glasgow wird und muss es insbesondere darum gehen, die Verbindlichkeit der zugesagten Klimaschutzbeiträge aller Staaten sicherzustellen. Im Rahmen der Novelle des Klimaschutzgesetzes ist in Nordrhein-Westfalen eine Erhöhung der Klimaschutzziele geplant. Bis 2030 wollen wir eine Minderung von 55 Prozent gegenüber 1990 erreichen und bis 2050 treibhausgasneutral werden. Auch die internationalen Ziele müssen ambitionierter gesetzt werden.

RRM: Welchen Beitrag leisten Sie persönlich zum Umweltschutz?

Ursula Heinen-Esser: Meinen Beitrag als Ministerin habe ich hoffentlich darlegen können. Als Privatperson versuche ich, Nachhaltigkeit und Umweltschutz mit bewussten Entscheidungen in den Alltag zu integrieren. Beim Einkaufen lege ich Wert auf regionale Produkte und Anbieter. Wo möglich meide ich Plastik und verwende Mehrwegprodukte.

Umweltwirtschaftspreis.NRW 2020
Der neu konzipierte und 2020 erstmals vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV) gemeinsam mit der NRW.BANK ausgelobte Umweltwirtschaftspreis.NRW würdigt das Engagement und den Mut von Unternehmen der Umweltwirtschaft, denen es gelingt, im Sinne der Gesellschaft und zukünftiger Generationen zu agieren und sich erfolgreich am Markt zu platzieren. Ausgezeichnet werden nachhaltige und innovative Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen aus, deren Produkte oder Dienstleistungen Klima- und Umweltschutz sowie Ressourceneffizienz mit wirtschaftlichem Erfolg verbinden.

 1. Platz Numaferm: Über den 1. Platz und ein damit verbundenes Preisgeld von 60.000 Euro  freute sich das Düsseldorfer Niotechnologie-Start-up Numaferm GmbH, das mit seinem besonders umweltfreundlichen Verfahren zur Peptide-Herstellung überzeugte. Dieses setzt auf biologische Verfahren und ist damit nicht nur ressourcenschonender, sondern auch günstiger als herkömmliche Prozesse.

 2. Platz 2G Energy: Auf dem mit 20.000 Euro dotierten Platz zwei landete die 2G Energgy AG aus Heek im Kreis Borken für die Entwicklung von mit Wasserstoff betriebenen KWK-Anlagen und Blockheizkraftwerken.
 3. Platz Regupol: Mit Innovationen im Bereich der Kreislaufführung von Bodenbelägen und -produkten konnte sich die REGUPOL BSW GmbH aus Bad Berleburg den dritten Platz und damit 10.000 Euro Preisgeld sichern.
www.umweltwirtschaft.de

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